Thementag Strategie am 16. November 2023 in Radebeul

Unter dem Titel „Kompass für Wohnungsgenossenschaften“ lud der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e.V. am 16. November 2023 zum Thementag Strategie nach Radebeul ins Radisson Blu Park Hotel ein. Ziel der Veranstaltung war es, sich bewusst von den Sorgen des Tagesgeschäftes zu lösen und einen kreativen Raum für langfristige strategische Entscheidungen zu schaffen. Mit 125 Anmeldungen lag die Teilnehmerzahl deutlich über den Erwartungen. Dies verdeutlicht die Relevanz und Notwendigkeit eines „Kompasses“ für die Branche.

In seinem Vorwort spannte Prof. Dr. Klaus-Peter Hillebrand, Vorstand des Prüfungsbereiches des Verbandes, zunächst den groben Rahmen und skizzierte die scheinbar nicht endende Liste aktueller Herausforderungen, die von Baukosten über gestiegene Zinsen, Personalmangel, Flüchtlingskrise und Krieg bis zuletzt zum GEG und Anforderungen an die Berichterstattung reichen. Vor diesem Hintergrund braucht es Strategien und langfristige Perspektiven.

Im ersten Themenblock „Gebäude.Quartier.Strategie“ machte Prof. Hillebrand in seinem weiterführenden Vortrag „Chancen und Risiken der Wohnungswirtschaft“ deutlich, dass der klimaneutrale Gebäudebestand „die neue genossenschaftliche Aufgabe“ ist. Unabhängig davon, ob man das Ziel für realistisch einschätzt, zielen alle politischen Rahmenbedingungen auf dieses Ziel ab. Die Ausgangslage für die sächsischen Wohnungsgenossenschaften ist dabei gar nicht so schlecht. Schließlich befindet sich ein Großteil der Bestände bereits in der Effizienzhausklasse „D“ oder besser. Gleichwohl ergibt sich ein Spagat zwischen Modernisierungserfordernissen und ökonomischer sowie sozialer Verantwortung.

Darauf aufbauend fokussierte Prof. Dr. Norbert Raschper, Geschäftsführer der IWB Immobilienwirtschaftliche Beratung GmbH in Braunschweig, auf die essentielle Notwendigkeit einer Portfoliobetrachtung in seinem Vortrag. Diese sollte neben der baulichen Bestandsanalyse auch technische Daten und ausgewählte Merkmale der Wohnungsqualität aufzeigen. Auf dieser Grundlage lässt sich der „Ausgangspunkt“  ermitteln. Dabei ist die CO2-Bilanz ein essentieller Bestandteil und nicht nur ein „Nice to have“. Nur mit der Kenntnis des Startpunkts lässt sich – methaphorisch gesprochen – auch die Route zum Ziel der Klimaneutralität planen. Für die sächsischen Wohnungsgenossenschaften liegen für die zwei typisierten Wohngebäude bereits ausführliche Daten zu den Lebenszyklen der einzelnen Bauteile sowie verschiedene Investitionsszenarien vor, die 2021 im Rahmen der Studie „Nachhaltige Gebäudemodernisierung – Zwischen Wille und Wirklichkeit“ gemeinsam mit dem VSWG und dem vdw Sachsen Verband der Sächsischen Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e.V. entstanden sind. Der Vortrag vermittelte insgesamt eine deutliche – aber unpopuläre – Botschaft „Der Branche wird es nur gelingen, 50 bis 60 % wirklich nachhaltig in die Zukunft zu retten. Für die anderen Bestände wird die Investitionskraft fehlen“, betonte Prof. Raschper.

Neben der richtigen Investitionsstrategie für die Wohngebäude ist vor allem die Transformation der Wärmeversorgung eine der größten Herausforderungen. „Diese geht nur gemeinsam“ war die zentrale Botschaft von Oliver Kulpanek, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Esslingen e.G. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte er in seinem Vortrag auf, wie durch Kooperationen mit Stadtwerken, der Kommune und anderen Eigentümern Lösungen entstehen können, die der Einzelne nicht entwickeln kann, weil er in seinem eigenen Gedankenkorsett gefangen ist.

Der zweite große Themenblock stand unter dem Titel „Vorstand.Vertrieb.Digital“. Den Einstieg wagte Sandra Balicki, Prokuristin der Wohnungsbaugenossenschaft KAIFU-NORDLAND eG aus Hamburg. Unter dem Titel „Fachkräftemangel – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ zeigte sie zunächst, dass sich die Fachkräftesituation eher noch weiter verschärfen wird. Gleichzeitig verdeutlichte Frau Balicki, auf welche Kriterien junge Talente heute Wert legen. Dabei steht vor allem das Arbeitsklima in den Teams, die zwischenmenschlichen Kontakte, Flexibilität der Arbeitszeiten und eine „inspirierende Führungskraft“ im Fokus. Zudem wird natürlich auch eine ansprechende Vergütung vorausgesetzt. Abschließend plauderte die Referentin ein wenig „aus dem Nähkästchen“ und zeigte viele kleine Bausteine auf, die den Unterschied machen können und die Wohnungswirtschaft von außen als sinnstiftende und spannende Branche wahrnehmen lässt.

Das Thema Wirkung nach außen spielte auch bei Thomas Strobel, Sachbearbeiter Team Wohnen der WOGENO Wohnungsgenossenschaft Zittau eG, die entscheidende Rolle. Unter dem Titel „REIZ ist geil! – Nicht der Quadratmeterpreis entscheidet über ja oder nein, sondern die Emotionen2“ zeigte er eindrucksvoll die Strategie der WOGENO in Zittau auf, die er liebevoll als „das letzte gallische Dorf“ bezeichnete. Mit einer klaren Ausrichtung auf die Marke, dem Verständnis der Wohnung als „Produkt“ und einem innovativen Vertriebskonzept gelingt es der Genossenschaft in einem von Leerstand geprägten Marktumfeld Mieten von 6,50 Euro/m2 und mehr durchzusetzen. Der zentrale Schlüssel dabei ist „Emotionen“ zu verkaufen und nicht die „Quadratmeterpreise“.

Ein deutlich ausbaufähiges Thema in der Wohnungswirtschaft ist die Digitalisierung. Dabei ist es zunächst erforderlich, ein einheitliches Verständnis von Digitalisierung zu entwickeln und es von „IT-Projekten“ abzugrenzen, machte Arne Rajchowski, Leiter der Geschäftsstelle Digiwoh Kompetenzzentrum Digitalisierung der Wohnungswirtschaft e.V., zu Beginn seiner Präsentation deutlich. Digitalisierung ist dabei niemals ein Selbstzweck, sondern dient dazu, Probleme zu lösen und Prozesse zu verschlanken. In vielen Prozessen kann Künstliche Intelligenz dazu eine hilfreiche Unterstützung sein. Eindrucksvoll demonstrierte er, wie eine bildgebende KI innerhalb kürzester Zeit eine erste Entwurfsplanung für ein Gebäude liefern kann und dabei gezielt die eingegebenen Parameter umsetzt. Zur erfolgreichen Digitalisierung braucht es aber zunächst das richtige Mindset und statt der bisher überwiegend vorherrschenden „Ja, aber“-Sicht eine „Ja, und“-Herangehensweise. Gleichzeitig ist es erforderlich, die Digitalisierung als Teil der Unternehmensführung zu begreifen.

Der letzte Themenblock „Bilanz.Ertrag.Innovation“ widmete sich zunächst der Frage, was die Wohnungswirtschaft tun muss, um langfristig finanzierbar zu sein. Brit Meyer – Business Development Managerin der Deutschen Kreditbank AG – stellte die regulatorischen Anforderungen, die auf die Kreditinstitute einwirken, dar. Auch für Kreditinstitute gibt es einen klar erkennbaren und zunehmenden Druck, im Kreditportfolio die richtige „green ratio“ abzubilden, also einen möglichst hohen Anteil „grüner Finanzierungen“. Das geht – und so schloss sich der Kreis zu den vorherigen Vorträgen – nur über entsprechende Daten und Planungen. Trotz all der erforderlichen Anstrengungen für den kommenden Investitionszyklus und die Erfordernisse zur Datenerhebung und Zusammenstellung machte Frau Meyer Mut, dass die sächsischen Wohnungsgenossenschaften auch die Schwierigkeiten der 1990er Jahre gemeistert haben und wir auch aus dieser Zeit gemeinsam gestärkt hervorgehen werden.

„Mut“ war auch die Währung des letzten Vortrags von Sven Winkler, Referent Betriebswirtschaft des VSWG, der sich mit zukünftigen Geschäftsfeldern der Wohnungswirtschaft auseinandergesetzt hat. Getreu des Mottos „von Google & Co. lernen“ ging es zunächst darum, die Essenz erfolgreicher Geschäftsmodelle der milliardenschweren Konzerne herauszuarbeiten. Gemeinsam haben diese, dass sie einen hohen „Nutzen“ für den Anwender stiften, ein Universum an Nebenprodukten liefern und somit das Leben vereinfachen. Mit diesem Mindset könnte auch die Wohnungswirtschaft künftig „Wohnen as a service“ verstehen. Das kann eine eigene Energieversorgung, die Konfiguration der Wohnung inkl. Ausstattung der Wohnung, Versicherung oder dem passenden Breitbandvertrag sein. Auch mit Hilfe von Daten lassen sich in Analogie zu Google und Co. interessante Geschäftsfelder denken, die nicht nur die Bindung zum Mitglied erhöhen, sondern auch Ertragspotenziale auf sich vereinen. Zunächst braucht es dafür gemeinsame Visionen. Erst im zweiten Schritt geht es darum, einen rechtlich und steuerlich geeigneten Rahmen zu schaffen.

Insgesamt spannte der Thementag Strategie ein breiten Bogen über alle Themen, die für die zukünftige Entwicklung von Wohnungsgenossenschaften von Bedeutung sind. Neben umfangreichem fachlichem, innovativen und zum Teil polarisierenden Input bot die Veranstaltung auch ausreichenden Freiraum für den Austausch und das Netzwerken, das angesichts der großen Themen wichtiger denn je ist. Denn auch für die strategischen Themen kann der genossenschaftliche Grundsatz gelten: „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“.

In ihrem Schlusswort betonte VSWG-Vorstand Mirjam Philipp, dass die Wohnungsgenossenschaften bei allen strategischen Überlegungen und Herausforderungen frei denken sollten und auf die rechtlichen Gegebenheiten passend handeln. Wenn sie nicht passen, müssen sie passend gemacht werden. Dabei darf aber nie das aus den Augen verloren werden, dass die Wohnungsgenossenschaften laut Satzungszweck für eine sozial verantwortbare Wohnraumversorgung stehen. Strategie heißt auch Flexibilität sich auf geänderte Gegebenheiten einzustellen. Dabei sollte nicht über jedes Stöckchen gesprungen werden, das hingehalten wird. Denn heute ist es so und übermorgen schon wieder ganz anders. Frau Philipp dankte allen Teilnehmenden für ihr Interesse am Thema, den Ausstellern und Sponsoren für ihre finanzielle Unterstützung und wünschte allen eine gute Rückreise.

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